Wie arbeiten und leben wir Menschen in Zukunft? Dies erforschen die Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation im Stuttgarter Zentrum für Virtuelles Engineering. Hier taucht man ein in die hochtechnologisierte Welt von übermorgen. Hightech steht auch hinter der Performance des Gebäudes in Sachen Energieeffizienz und Nachhaltigkeit. Von Cornelia Kühhas
Die Fensterbänder wirken wie Sägezähne. Die Lüftungselemente sind so angeordnet, dass sie vor direkter Sonneneinstrahlung geschützt sind. Bild: Christian Richters
Ganz in Weiß präsentiert sich das Zentrum für Virtuelles Engineering (ZVE) des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart.
Das futuristisch anmutende Gebäude entstand nach Plänen des Stararchitekten Ben van Berkel und des deutschen Büros Asplan Architekten.
Innen bildet ein offenes Atrium die zentrale vertikale Erschließungsachse. Darum gruppieren sich Büro- und Laborflächen auf vier Ebenen, auf insgesamt 3.200 m2. Anders als von klassischen Arbeitsstätten gewohnt, sind die Nutzungskategorien und unterschiedlichen Arbeitsebenen nicht klar begrenzt, sondern miteinander verflochten. Auch die Raumhöhen der Büro- und Laborbereiche variieren – und mit ihnen die Ein- und Ausblicke, die sich bieten.


Mit dem Bau des ZVE hat das Fraunhofer IAO die Möglichkeiten des Virtual Engineering am eigenen Objekt gezeigt. Bilder: Christian Richters, Fraunhofer IAO, UNStudio, ASPLAN, Herrmann GmbH & Co. KG

Forschungswelt von übermorgen
„Das Gebäude erfüllt die Anforderungen, die wir als Nutzer und Forscher an unseren Arbeitsplatz gestellt haben, perfekt,“ resümiert Martin Balb, Leiter Technische Dienstleistungen des Fraunhofer IAO. Das ZVE ist das Ergebnis eines digitalisierten Planungs- und Bauprozesses, in den das wissenschaftliche Know-how des Fraunhofer IAO in den Bereichen Virtual Engineering und Workspace Innovation einfloss. In 3D-Modellen wurden die komplexen Gebäudestrukturen visualisiert, Akustik, Thermik und Lichtverhältnisse simuliert. „Wir schaffen neue Welten, in denen man innovationsfokussiert arbeiten kann und sich wohl fühlt“, erklärte Prof. Wilhelm Bauer vom Fraunhofer IAO bei der Eröffnung. Das Motto ist Flexibilität, fest zugeordnete Arbeitsplätze findet man wenige. Das variable Nutzungskonzept ermöglicht es den Forschern, ihr Arbeitsumfeld an die aktuellen Anforderungen der Forschungsprojekte anzupassen. Martin Balb: „Die große Herausforderung war, dieses offene Nutzungskonzept technisch umzusetzen.“ Die Lösung wurde in einer offenen und flexiblen Steuerungstechnik gefunden, mit der erst alle Nutzungsmöglichkeiten und das gesamte Energiesparpotenzial ausgeschöpft werden konnten. Michael Falkenstein, Projektleiter der Herrmann GmbH & Co. KG, die das komplexe Automatisierungskonzept umsetzte, erklärt: „Durch die Vielfalt an Komponenten und ihre Busanbindungen wäre dieses Projekt ohne offene Steuerungstechnik nur schwierig und mit vielen Gateways realisierbar gewesen. Hier bot uns die Automatisierungstechnik von Beckhoff entscheidende Vorteile. Natürlich ist diese Technik auch bei zukünftigen Erweiterungen von großem Vorteil.“
Michael Falkenstein lenkt den Blick auf einen weiteren Aspekt: „Durch intelligente Verteilung von dezentralen Ein- und Ausgabebaugruppen konnte die Verkabelung der Gebäudeautomatisierung stark reduziert werden – und somit auch die Brandlast.“

170 m in die Tiefe
Die Heizung und Kühlung des Gebäudes basiert auf regenerativen Energiequellen. Erdwärme wird über elf Sonden, die 170m in die Tiefe reichen, genutzt. Unterstützt wird die Geothermieanlage durch ­eine Betonkernaktivierung. „Durch dieses Konzept der thermischen Bauteilaktivierung und der großen Betonmasse ist das Gebäude klimatisch träge – wir haben über das Jahr gesehen keine großen Temperaturschwankungen im Haus“, erklärt Martin Balb. Großes Augenmerk wurde auf die Nutzung der Abwärme, etwa von den Rechnerräumen oder den Hochleistungsprojektoren der Labore, gelegt: Diese wird im Tank der Sprinkleranlage gespeichert.

Ganzheitliche Gebäudeautomation
Wärme, Kälte, Lüftung, Beleuchtung und Beschattung werden über Etagencontroller automatisch gesteuert und geregelt. 7.000 Messpunkte im ganzen Gebäude liefern die entsprechenden Daten. „Die Technik in diesem Haus funktioniert anders, als man es von anderen Bestandsgebäuden gewohnt ist – daran mussten sich die Kollegen erst gewöhnen“, sagt Martin Balb. So werden etwa Fenster mittels Knopfdruck geöffnet, man kann eingeben, zu wie viel Prozent sich das Fenster öffnen soll. Alle Räume besitzen eine Einzelraumregelung, inklusive CO2-Messung. Misst der Raumfühler, dass die Luftqualität zu schlecht ist, öffnet sich automatisch das Fenster. „Der Nutzer kann aber jederzeit eingreifen und die Technik übersteuern“, betont Balb. Allzu groß dürfte der Spielraum allerdings nicht sein, denn schließlich analysiert ein Energiemess- und Monitoringsystem die Wirkung der verschiedenen Maßnahmen und somit das Funktionieren des Gesamtsystems. In den Beton der Geschossdecken sind luftgefüllte Kugeln eingebettet. So konnte Material eingespart werden. Gleichzeitig werden die Bauteile leichter, behalten aber ihre Tragfähigkeit und können 12 m stützenfrei überspannen. Das Haus wurde von der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen als „sichtbares Zeichen für attraktives und nachhaltiges Bauen“ gewürdigt und mit dem DGNB-Zertifikat in Gold prämiert. Nur die Fassade passt nicht ins Nachhaltigkeitskonzept: Sie ist mit Aluminium verkleidet.


Durch eine Co2-Messung in allen Räumen, öffnen sich die Fenster  bei schlechter Luft automatisch. Bilder: Christian Richters, Fraunhofer IAO, UNStudio, ASPLAN, Herrmann GmbH & Co. KG

Aus den Jury-Bewertungen
„Leider kann die thermische Hülle (U-Werte und Aluminium-Haut) nicht mit der futuristischen Architektur mithalten,“ meint
Franziska Trebut.

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